Lysosomale Speicherkrankheiten werden durch Defekte von Enzymen, die für den Abbau von Stoffwechselprodukten in den Lysosomen notwendig sind, verursacht. Hierdurch kommt es zur pathologischen Anreicherung von Speichersubstanzen in den Zellen und schließlich zu Schäden an Organen und Geweben. Derzeit sind etwa 50 lysosomale Speicherkrankheiten bekannt. Sie können nach Art der vermehrt gespeicherten Substanz klassifiziert werden (z. B. Mukopolysaccharidosen, Glykoproteinosen, Sphingolipidosen). Neben den Neuronalen Zeroidlipofuszinosen sind die drei häufigsten Speicherkrankheiten der Morbus Gaucher, der Morbus Fabry und der Morbus Pompe. Die Krankheitsverläufe können individuell sehr verschieden sein. Häufig entwickeln die Patienten aber schwere Krankheitssymptome und haben nicht selten eine verringerte Lebenserwartung.
Im Folgenden sind die wichtigsten Erkrankungen kurz dargestellt, die in unserer Klinik und im Kompetenzzentrum für seltene Speicherkrankheiten Gießen diagnostiziert und therapiert werden.

Morbus Pompe
Dem Morbus Pompe liegt ein autosomal-rezessiv vererbter Mangel des Enzyms α-1,4-Glukosidase zugrunde. Dies führt zur Anhäufung von Glykogen in den Lysoso-men und später auch im Rest der Zelle. Der Enzymdefekt wirkt sich insbesondere in den Herz- und Skelettmuskelzellen aus. Im Unterschied zur juvenilen und adulten Form, die als progrediente Myopathie verlaufen, verursacht die praktisch vollständig fehlende Enzymaktivität bei der infantilen Form auch eine hypertrophe Kardiomyopathie. Leitsymptome im Säuglingsalter sind Trinkschwäche und muskuläre Hypotonie in Verbindung mit Herzmuskelverdickung und CK-Erhöhung. Bei juvenilen oder adulten Patienten sollten bereits eine nur milde Muskelschwäche oder eine nur geringe Erhöhung von CK, GOT und GPT an einen Morbus Pompe denken lassen. Seit kurzem ist nun für alle Verlaufsformen eine Enzymersatztherapie verfügbar. Hier¬durch kann insbesondere bei der schweren, im Säuglingsalter beginnenden Form die Prognose der Erkrankung erheblich verbessert werden.

Morbus Fabry
Der Morbus Fabry beruht auf einem X-chromosomal vererbten Mangel des lysosomalen Enzyms α-Galaktosidase A. Hierdurch kommt es zu Funktionsschädigungen an verschiedenen Organen und Geweben. Betroffen sind vor allem Haut, Augen, Herz, Nieren, peripheres und zentrales Nervensystem. Die Symptome setzen bei Männern im Vergleich zu Frauen zumeist früher ein und sind stärker ausgeprägt, jedoch können auch Frauen in vergleichbarem Ausmaß erkranken. Seit dem Jahr 2001 kann der Morbus Fabry mit einer Enzymersatztherapie behandelt werden. Insbesondere bei folgenden Symptomen muss an einen Morbus Fabry gedacht werden:

  • Zentralnervensystem: Schlaganfall (Apoplex); vorübergehende neurologische Störungen, die in ihren Symptomen einem Schlaganfall gleichen, sich aber wieder vollständig zurückbilden (TIA)
  • Peripheres Nervensystem: bereits ab der Kindheit brennende Schmerzen in Füßen und Händen (Akroparästhesien), chronische unerklärliche Schmerzen (Polyneuropathie), rheumatologische Beschwerden unklarer Ursache, Fibromyalgie, verminderte (Hypohidrose) oder fehlende Schweißproduktion (Anhidrose), gestörtes Wärme- und/oder Kälteempfinden
  • Ohren: Schwerhörigkeit, Tinnitus, unklare Schwindelzustände
  • Augen: charakteristische Trübungen der Hornhaut (Cornea verticillata) ohne Beeinträchtigung der Sehfähigkeit, Verbreiterung und Schlängelung von Blutgefäßen der Hornhaut und Netzhaut (Tortuositas vasorum)
  • Herz: Zunahme der Herzmasse (Hypertrophe Kardiomyopathie), unregelmäßiger Herzschlag (Arrhythmien)
  • Gastrointestinaltrakt: Völlegefühl, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Verstopfung (Obstipation)
  • Nieren: Eiweißausscheidungen über den Urin (Proteinurie), fortschreitender Verlust der Nierenfunktion
    (Niereninsuffizienz) bis zur Dialysepflichtigkeit
  • Haut: Angiokeratome

Morbus Gaucher
Dem Morbus Gaucher liegt ein Mangel des lysosomalen Enzyms ß-Glukozerebrosidase zugrunde. Glukozerebrosid reichert sich infolge dessen vor allem in den Makrophagen an. Typische Symptome sind eine Hepatosplenomegalie in Verbin-dung mit einer Anämie und Thrombozytopenie. Im Verlauf auftretende Komplikationen können schmerzhafte Knochenkrisen, Knocheninfarkte und auch pathologische Frakturen sein. Viele Patienten entwickeln nur Symptome der viszeralen Organe. Daneben kann es aber auch zu neuropathischen Krankheitsverläufen kommen. Auch für diese Erkrankung gibt es eine Enzymersatztherapie. Zudem kann bei Erwachsenen mit milden Symptomen eine Substratreduktionstherapie erwogen werden.

Weitere lysosomale Speichererkrankungen
Zu den lysosomalen Speicherkrankheiten zählen u.a. ebenfalls die Mukopolysaccharidosen wie z.B. der Morbus Hunter, für den seit 2007 ebenfalls eine Enzymersatztherapie zur Verfügung steht, die Mukolipidosen, die Sphingolipidosen, die Oligosaccharidosen und die Neuronalen Zeroidlipofuszinosen.

Abklärung von Verdachtsfällen
Aufgrund neuer Therapiemöglichkeiten ist eine frühzeitige Diagnosestellung äußerst wichtig. Besteht der Verdacht auf eine Speicherkrankheit, nehmen Sie für ergänzende klinische Untersuchungen und weiterführende Diagnostik gerne Kontakt mit uns auf. Alle für die Abklärung evtl. erforderlichen diagnostischen Maßnahmen können zielgerichtet bei uns durchgeführt oder initiiert werden.

Therapie
Lysosomale Speicherkrankheiten konnten früher meist nur symptomorientiert behan¬delt werden. Heute steht mit der Enzymersatztherapie erstmals eine kausale Behandlungsform zur Verfügung. Hierbei wird das fehlende Enzym künstlich hergestellt und den Patienten in regelmäßigen Abständen infundiert. Dadurch können bereits eingetretene Organ- oder Gewebeveränderungen teilweise wieder rückgängig gemacht und häufig das Auftreten weiterer Symptome und Komplikationen vermieden werden. Derzeit sind Enzymersatztherapien bei M. Gaucher, M. Fabry, Mukopolysaccharidose Typ I, II, IV und VI, und M. Pompe möglich. Weitere lysosomale Speicherkrankheiten werden in absehbarer Zeit wahrscheinlich ebenfalls auf diese Weise behandelbar sein. Da diese Behandlung kostenintensiv ist und die Gabe der Infusionen sorgfältig überwacht werden muss, sollte die Durchführung der Enzymersatztherapie bzw. deren Überwachung durch ein Zentrum mit Erfahrung auf diesem Gebiet erfolgen.

Bei Fragen bzgl. Diagnostik, Therapie und Beratung steht Ihnen Herr Prof. Dr. A. Hahn unter 0641 / 985 – 43481 (Sekretariat Prof. Neubauer) zur Verfügung.